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EDU Faculty Press releases

Kindheit und Schulzeit in zwei Alpenregionen: Buchvorstellung in Brixen

Wie sehr prägt uns die Bildungsgeschichte unserer Vorfahren? Welche Erfahrungen der Italianisierung der Schule im Faschismus wurden an die heutigen Generationen weitergegeben?

Bildungsgeschichte soll nicht nur theoretisch abgehandelt, sondern anhand der eigenen Familiengeschichte reflektiert werden. Das ist das Credo von Prof.in Annemarie Augschöll Blasbichler, Leiterin des Forschungs- und Dokumentationszentrums zur Südtiroler Geschichte der unibz. In einem Projekt lud sie Studierende der Fakultät für Bildungswissenschaften dazu ein, sich mit den Bildungsbiografien ihrer Großeltern auseinanderzusetzen.

„Die Erfahrungen mit Faschismus und Nationalsozialismus haben die Einstellungen der Südtiroler Bevölkerung zu Schule und Bildung nachhaltig geprägt. Nach dem 2. Weltkrieg wurde die deutsche Unterrichtssprache zwar bereits im 1. Autonomiestatut verankert, doch es hat lange gedauert, bis die Bevölkerung wieder Vertrauen in die staatlichen Bildungsinstitutionen erlangt hat.“, sagt Prof.in Augschöll Blasbichler. Nie wirklich aufgearbeitete Angriffe der Schule auf die kulturelle und sprachliche Identität und ihr direkter Niederschlag auf die Bildungsbiografien der damaligen Schüler hatten Auswirkungen auch auf die nachfolgenden Generationen. Im Erwachsenenalter musste die Generation mit geringen Kenntnissen in Lesen und Schreiben ihr Leben meistern und ihre Kinder im Schulalter begleiten. Scham und Strategien des Umgangs mit den Defiziten führten zu Einstellungen und Haltungen zu Schule und Bildung, die auch der nächsten Generation übermittelt wurden. „Für die angehenden Lehrpersonen und Erziehungspersonen in den Kindergärten ist es daher von großer Bedeutung, sich mit dieser besonderen Südtiroler Bildungsgeschichte auseinanderzusetzen, um versteckte Ängste, Resistenzen und Unsicherheiten sowie davon ausgehende Potentiale der Verhinderung in einem um Verstehen bemühten Ansatz zu begegnen und damit eine positive Weiterentwicklung im weitesten Sinne anzuleiten und zu begleiten.“

Neben den theoretischen Inputs, die Studierende der Fakultät für Bildungswissenschaften zur Südtiroler Bildungsgeschichte erhalten, führten sie Interviews mit ihren eigenen Großeltern durch, in denen diese Muster gemeinsam in der Familie reflektiert wurden. Die Aufzeichnungen dieser bildungsbiografischen Porträts ihrer Großeltern ermöglichten den Studierenden eine Auseinandersetzung mit dem, was von Kindheit und Schule über Jahrzehnte in Erinnerung bleibt und in nachhaltigen Mustern unreflektiert, bewusst und vor allem unbewusst auch der nächsten Generation weitergegeben wird.

Für einen Vergleich regte die Professorin Kolleg:innen der Pädagogischen Hochschule in Graubünden zum selben Reflexionsprojekt an. Aus dem Gemeinschaftsprojekt der beiden Hochschulen und dem daraus entstandenen Zusammenwirken der Großeltern als Zeitzeugen, der Studierenden und der Dozierenden, ist das Buch „Kindheit und Schulzeit in zwei Alpenregionen – Aufwachsen und Lernen in Südtirol und Graubünden zwischen 1920 und 1970“ mit 30 biografischen Porträts entstanden.

Die Konfrontation zwischen diesen beiden Realitäten zeige einerseits Gemeinsamkeiten wie ähnliche geografische und kulturelle Bedingungen sowie die Mehrsprachigkeit auf. Der größte Unterschied bestehe sicherlich in der Südtiroler Erfahrung mit dem Faschismus und Nationalsozialismus und unterschiedlichen Gesetzgebungen. „Sowohl in der Schweiz als auch in Südtirol geht es immer darum, das Eigene zu analysieren und zu reflektieren, um diese Muster und Einstellungen herauszufiltern, die transgenerational übermittelt werden und die heute vielleicht nicht mehr zum zeitgeschichtlichen Kontext passen, aber trotzdem handlungsleitend werden“, weiß Prof.in Augschöll Blasbichler. „Die Auseinandersetzung mit der jeweils fremden Realität unterstützt dabei noch einmal, einen distanzierten Blick für die Analyse des Eigenen zu bekommen“, so Prof.in Augschöll Blasbichler zu ihrer Motivation, für ihr Projekt Partner außerhalb der Landesgrenzen zu suchen.

Die gemeinsame Publikation von Prof.in Ursina Kerle, Prof.in Annemarie Augschöll Blasbichler und Prof. Albert Düggeli wird am Donnerstag, den 21. Dezember um 16:30 Uhr in der Aula Magna am Campus Brixen vorgestellt. Die Veranstaltung ist für alle Interessierten kostenlos zugänglich. 

(ros)