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Die Rolle des Sozialen Kapitals bei Straßenpiraterie in Italien

Eine Studie von Prof. Mirco Tonin ergab, dass die Wahrscheinlichkeit von Fahrerflucht in italienischen Provinzen mit geringerem Sozialem Kapital höher ist.

In Provinzen mit hohem Sozialem Kapital tritt das Phänomen der Fahrerflucht seltener auf als in Provinzen mit niedrigerem Sozialem Kapital. Dies haben die drei italienischen Wirtschaftswissenschaftler Prof. Mirco Tonin (Freie Universität Bozen), Prof. Stefano Castriota (Universität Pisa) und Prof. Sandro Rondinella (Universität Neapel „Federico II“) herausgefunden. Veröffentlicht wurde der wissenschaftliche Artikel „Social Capital and Hit-and-Run Road Accidents: Evidence from Italy“ im Italian Economic Journal. Die Ergebnisse dieser Studie könnten auf nationaler Ebene dazu beitragen, gezielte Kommunikations- und Sensibilisierungskampagnen gegen Straßenpiraterie zu starten.

Soziales Kapital und Forschungsgrundlage

Was versteht man unter Sozialem Kapital? Eine der vielen Definitionen ist die „Fähigkeit von Menschen, in Gruppen und Organisationen für gemeinsame Ziele zusammenzuarbeiten“. Laut wirtschaftlicher und soziologischer Literatur besteht eine positive Korrelation zwischen diesem wichtigen gesellschaftlichen Kapital und der wirtschaftlichen und finanziellen Entwicklung, der finanziellen Leistungsfähigkeit von Unternehmen, den Bedingungen und der Rückzahlung von Schuldnerdarlehen, der wirtschaftlichen Mobilität, der politischen Verantwortlichkeit und der Gesundheit. Negativ ist sie dagegen mit der Kriminalitätsrate und Verkehrsunfällen verbunden

In der jetzt veröffentlichten Studie untersuchten Prof. Mirco Tonin und zwei Kollegen die Bedeutung des Sozialen Kapitals in einem neuen Kontext, nämlich dem der Straßenpiraterie. „Im vergangenen Jahr haben wir eine ähnliche Studie mit Daten aus den USA veröffentlicht, aus der hervorging, dass der soziale Zusammenhalt in einer lokalen Gemeinschaft das Begehen von Fahrerflucht positiv beeinflusst“, sagt der Professor für Wirtschaftspolitik an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften der unibz. Nun konnten die Forscher belegen, dass dieser Zusammenhang auch in Italien besteht.

Messung des Sozialen Kapitals

Zur Messung des Sozialen Kapitals gibt es in der Literatur aufgrund der Vielschichtigkeit des Konzepts verschiedene Ansätze. Über Umfragen kann das Vertrauen in Personen und Institutionen gemessen werden. Auch die Mitgliedschaft in Gruppen, Netzwerken und ehrenamtlichen Vereinen oder sogar die Bereitschaft, Blut zu spenden, gelten als Maßstab. Für Italien haben die drei Autoren in Anlehnung an einen US-Index (The Geography of Social Capital in America) folgende Teilindizes umfasst: „Community Health“ (Anzahl der Mitglieder in Sportvereinen, Blutspenden, Medienkonsum pro 1.000 Einwohner:innen), „Institutional Health“ (Wahlbeteiligung bei Volksabstimmungen) und „Collective Trust“ (Anzahl der vorsätzlichen Tötungen pro 1.000 Einwohner:innen).

Als Datenbasis nutzten Tonin und Kollegen ISTAT-Daten zu Straßenverkehrsunfällen mit verletzten oder getöteten Fußgänger:innen im Zeitraum 2000-2016. Teil der detaillierten Daten waren auch die Fluchtversuche nach einem Unfall. In dem untersuchten 15-Jahres-Zeitraum ereigneten sich in Italien 320.835 Unfälle mit Fußgänger:innen, von denen 2 Prozent als Fahrerflucht eingestuft wurden. Die Verteilung der Fahrerflucht über das Land ist heterogen: Provinzen mit hohen Raten dieser Art von Verbrechen finden sich in Nord-, Mittel- und Süditalien. Was macht also den Unterschied aus?

Durch die Verknüpfung der Indizes für Soziales Kapital mit den Daten zu Verkehrsunfällen auf Provinzebene belegten die drei Autoren, dass an Orten mit höherem Sozialem Kapital die Wahrscheinlichkeit für Fahrerflucht um 11 bis 15 Prozent niedriger ist. „Das deutet darauf hin, dass Soziales Kapital auch in Extremsituationen, in denen Instinkt und Emotionen eine entscheidende Rolle spielen, einen Einfluss hat“, sagt der unibz-Dozent.

Die Ergebnisse der Studie legen nahe, dass sich politische Maßnahmen zur Förderung des sozialen Zusammenhalts in verschiedenen Bereichen, darunter auch auf das Verhalten bei Verkehrsunfällen, positiv auswirken. „Auf Basis unserer Studie sehe ich Sensibilisierungskampagnen als wirksames Instrument zur Bekämpfung von Fahrerflucht, um das Bewusstsein für die Auswirkungen von Fahrerflucht auf die lokale Gemeinschaft zu stärken und an die moralische Pflicht zu appellieren, im Falle eines Unfalls Hilfe zu leisten", schließt Tonin. „Solche Aktionen müssen klarerweise als Zusatzmaßnahme verstanden werden, nicht als Ersatz für herkömmliche Strafmaßnahmen wie Geld- und Haftstrafen.“

Bild: Eugene Triguba auf Unsplash

(ros)