Skip to content

Freie Universität Bozen

Dienststellen CC Regional History

12 Feb 2021 00:00-23:59

Call for Papers: Einsperren, beschränken, ausweisen.

Internationaler Workshop: Einsperren, beschränken, ausweisen. Der Raum als Mittel der Separierung und sozialen Kontrolle vom späten 19. bis zum frühen 20. Jahrhundert

Dienststellen CC Regional History

Die Geschichte der Gefängnisse, und allgemein der Häuser, die den Zweck hatten, bestimmte Menschen sozial abzugrenzen, hat in den letzten Jahren Hochkonjunktur, wobei neue Paradigmen und Deutungsmuster diskutiert werden. Forschungen zu den organisatorischen, institutionellen und ökonomischen Aspekten von Gefängnissen und ähnlichen Strukturen, zum Alltagsleben und den herrschenden Machtverhältnissen sowie zu den Kontakten mit der Außenwelt, unterstreichen die Rolle des Raumes, des physischen, sozialen, imaginierten, auferlegten, geschaffenen Raumes als grundlegende Analysekategorie.
Der geplante, internationale Workshop möchte ausgehend von diesen Überlegungen eine Plattform bieten, um neue und laufende Forschungen zu einzelnen Fällen, die die verschiedenen Bedeutungsebenen und Nutzungen des Raumes als Mittel zur Bestrafung, Kontrolle, Disziplinierung thematisieren, zu vernetzen und vergleichend zu diskutieren.
Der Workshop möchte sich nicht nur auf materielle Räume der Separierung konzentrieren – Gefängnisse, Arbeitshäuser, Jugendstrafanstalten… – sondern auch auf andere gerichtliche Institutionen, polizeiliche Praktiken und administrative Maßnahmen, die Begrenzung/Beschränkung/Negierung von Raum zum Ziel und zur Folge haben. In diese Kategorie fallen z.B. Ausweisung, Zwangsdomizilierung, Abschiebung und generell alle Maßnahmen, die die Bewegungsfreiheit und den Handlungsspielraum der Betroffenen im räumlichen, sozialen und relationalen Sinn einschränken.
Zeitlich nimmt der Workshop die Jahrzehnte zwischen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges in den Blick: In dieser Zeit wurden in vielen Regionen Europas neue Gefängnisstrukturen und Arbeitshäuser eingerichtet, die in der Theorie als moderner und funktionaler galten, auch in Hinblick auf die Raumorganisation; andererseits kam es in dieser Zeit zu einer zunehmend systematischen Umsetzung jener administrativen und polizeilichen Maßnahmen, die darauf abzielten, die öffentliche Sicherheit durch die Einschließung oder die Einschränkung der Bewegungsfreiheit der Menschen aufrechtzuerhalten, die als sozial gefährlich und „deviant“ galten.
In geografischer Hinsicht ist der Workshop für jeden Vorschlag offen. Um einen fruchtbaren Austausch zu gewährleisten, regen wir an, die Beziehung zwischen den Räumen der Bestrafung / der Kontrolle, die Gegenstand der Analyse sind – Gebäude oder andere Formen von „auferlegten“ oder „verweigerten“ Räumen – und dem städtischen/regionalen/überregionalen Umfeld bewusst zu thematisieren.
Der Workshop wird sich in zwei Panels strukturieren:

1. Einsperren
Im ersten Panel werden Beiträge diskutieren, die sich mit Häusern der Segregation unter folgenden Aspekten befassen:
- Architektonische und organisatorische Aspekte: Wie waren Räume und Zeiten innerhalb solcher Gebäude organisiert? Wie sah das Verhältnis zwischen diesen beiden Dimensionen des Alltagslebens aus? Wie war die Beziehung zwischen diesen Orten mit der Umgebung? Welche architektonischen Modelle wurden umgesetzt? Gab es lokale/regionale Besonderheiten?
- Städtebauliche und geografische Aspekte: Wo war der Standort dieser Gebäude in einer Stadt oder einer Region, wie hat er sich im Laufe der Zeit verändert und welchen Zwecken diente er (z. B. Rationalisierung und Modernisierung städtischer Räume, Verlagerung von Gefängnisgebäuden weg von dichter besiedelten Gebieten, Bedarf an landwirtschaftlichen Flächen, Nähe zu Bergbauaktivitäten usw.)?
- Wirtschaftliche und materielle Aspekte: Wie fügten sich diese Strukturen in das regionale/staatliche Wirtschafts- und Produktionssystem ein? Wie haben sie sich finanziert, wie sehr haben sie die Staats- oder regionalen Finanzen belastet?

2. Beschränken, ausweisen
Im zweiten Panel sollen einige Fallstudien zu anderen räumlichen Formen von Bestrafung und sozialer Kontrolle diskutieren und verglichen werden. Folgende Aspekte sollen dabei berücksichtigt werden:
- Rechtliche und normative Aspekte: Wie verändern und verfeinern sich – insbesondere ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts – bestimmte Formen der sozialen Kontrolle, die mit der Ausweisung von Menschen oder der Auflage, sich nicht von einem bestimmten Ort zu entfernen, verbunden sind, und eng mit den komplexen Konzepten „Staatsbürgerschaft“, „Heimatrecht“ und „Wohnsitz“ zusammenhängen? Wie werden diese Maßnahmen aus rechtlicher Sicht diskutiert und wie werden sie in der Praxis umgesetzt? Gibt es Gegensätzlichkeiten zwischen Norm und Praxis, zwischen Gesetz und Umsetzung in Bezug auf diese Maßnahmen? Bestanden Besonderheiten, spezifische regionale Ausprägungen oder autonome Regelungen (z.B. in Grenzregionen) bei der Entwicklung oder Umsetzung solcher Maßnahmen?
- Institutionelle und diplomatische Aspekte: Gab es bei der Umsetzung dieser Maßnahmen Konflikte zwischen den (lokalen, regionalen, staatlichen) Regierungs- und Verwaltungsbehörden? Wie wurden Maßnahmen wie Verbannung und Ausweisung diplomatisch gehandhabt? Welche Rolle spielten in diesem Zusammenhang die Verwaltungen der Grenzregionen?
- Sozial- und mikrohistorische Aspekte: Was bedeuteten die Maßnahmen der Ausweisung bzw. der räumlichen Beschränkung in der Praxis für die davon besonders betroffenen Menschen – Landstreicher, Bettler, Obdachlose… –, die gerade aufgrund ihrer „undisziplinierten“ Mobilität als gefährlich galten? Welche Strategien verfolgten sie und welche Möglichkeiten der Umgehung solcher Maßnahmen hatten sie?

Der Workshop findet am 15. Oktober 2021 an der Bildungswissenschaftlichen Fakultät der Freien Universität Bozen in Brixen statt und wird vom Kompetenzzentrum für Regionalgeschichte der Freien Universität Bozen in Kooperation mit der Universität Luzern, Institut für Juristische Grundlagen – lucernaiuris, und der Università della Svizzera Italiana, Archivio del Moderno organisiert.
Die Organisatoren kommen für Hotelkosten (2 Übernachtungen) und die Reisespesen (im Ausmaß eines Maximalbetrags von 250 € pro Referenten) auf. Eine Publikation der Beiträge ist geplant.
Themenvorschläge (von ca. 500 Wörtern mit Angabe der verwendeten Quellen sowie, in derselben Datei, eine kurze bio-bibliographische Skizze) werden bis zum 30. April 2021 an folgende E-Mail-Adresse erbeten: francesca.brunet@unibz.it. Die Abstracts können in italienischer, deutscher oder englischer Sprache verfasst sein. Tagungssprachen sind Italienisch, Deutsch und Englisch, mit Simultanübersetzung ins Englische.
Die Ergebnisse des Auswahlverfahrens und das endgültige Programm des Workshops werden bis Ende Mai 2021 bekannt gegeben.