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Freie Universität Bozen

Workshopteilnehmende, die an den Tischen arbeiten
© unibz / Giacomo Buzzao

CC Cooperatives

"Digitalisierung: Verbündete der Sozialgenossenschaften?": Überlegungen und Perspektiven

Am 4. Dezember fand die letzte vom Kompetenzzentrum organisierte Veranstaltung des Jahres statt: „Digitalisierung: Verbündete der Sozialgenossenschaften?“.

Der Vormittag brachte rund dreißig Teilnehmende zusammen – Vertreterinnen von Sozialgenossenschaften, Forscherinnen, Fachkräfte und Studierende –, mit dem Ziel, einen fundierten Austausch über die Rolle der Digitalisierung im Dritten Sektor anzustoßen und darüber zu reflektieren, wie das Competence Centre den bestehenden Bedürfnissen im Gebiet begegnen kann.

Die Eröffnung erfolgte durch die Keynote von Maurizio Busacca (Universität Ca’ Foscari Venedig), der einen soliden und differenzierten Überblick über den Stand der Digitalisierung im italienischen Dritten Sektor gab. In seiner Präsentation stellen ISTAT-Daten und neuere Studien die noch immer verbreitete Erzählung infrage, wonach Non-Profit-Organisationen und Sozialgenossenschaften strukturell „im Rückstand“ oder kulturell dem Digitalen gegenüber ablehnend seien. Im Gegenteil zeigt die empirische Evidenz, dass fast 80 % der Non-Profit-Organisationen mindestens eine digitale Technologie nutzen – mit Adoptionsmustern, die jenen kleiner und mittlerer Unternehmen sehr ähnlich sind.

Das zentrale Problem ist also nicht die Abneigung gegenüber dem Digitalen, sondern eine Kombination struktureller Faktoren: chronische Unterfinanzierung, Mangel an technischen und managementbezogenen Kompetenzen sowie eine Schwäche der organisatorischen Strukturen. In diesem Kontext verläuft die Digitalisierung nicht „per Dekret“, sondern als inkrementeller Prozess, der oft von unten durch Einzelpersonen angestoßen wird, die als Champions des Wandels agieren. Führung, Weiterbildung und förderliche organisatorische Rahmenbedingungen werden somit entscheidend, um individuelle Experimente in geteilte Praktiken zu überführen.

Im Anschluss wurde die Diskussion durch die Vorstellung konkreter Erfahrungen aus dem Gebiet bereichert. Maria Susat und Tiziano Mazzurana (Novum2) zeigten, wie die Einführung digitaler Werkzeuge nicht nur das Controlling, die Prozessüberwachung und schnellere datenbasierte Entscheidungen unterstützt, sondern auch arbeitsmarktintegrative Projekte mit hoher technologischer Intensität ermöglicht – etwa die Entwicklung digitaler Assistenzsysteme zur Unterstützung industrieller Montagearbeiten. In Zusammenarbeit mit Luca Gualtieri von der Smart Mini Factory Unibz wurden im Rahmen des Projekts „INCLU5ION“ visuell projizierte Führungssysteme für Personen mit kognitiven oder körperlichen Einschränkungen entwickelt. Diese Systeme leiten Schritt für Schritt durch komplexe Aufgaben (z. B. die Montage pneumatischer Zylinder) und erhöhen so Autonomie, Produktivität und persönliche Zufriedenheit.

Konrad Meßner berichtete anschließend von den Erfahrungen von Kairos Digitale und bot eine komplementäre Perspektive, die die Digitalisierung sowohl als Marktprodukt – etwa in der Digitalisierung historischer Archive – als auch als philosophische Herausforderung versteht. In seinem Beitrag wurde die Bedeutung betont, in einer von Geschwindigkeit und Vereinheitlichung geprägten Zeit ein menschliches Gleichgewicht zu wahren: Arbeit und Kultur brauchen mitunter eine reflektierende „Distanz“, um ihre Seele nicht zu verlieren. Den Abschluss der Session bildete Giacomo Maestri (Nefeli), der das Digitale als Organisationskultur interpretierte. In Übereinstimmung mit Busaccas Eröffnungsbeitrag betonte er, dass die Einführung neuer Werkzeuge nicht ausreicht, wenn sie nicht von einer Veränderung der Sprache und des kollektiven Verhaltens begleitet wird: Technologie funktioniert nur, wenn sie bewusst von Menschen angenommen wird und nicht von oben verordnet wird. In diesem Sinne werden digitale Prozesse zu Hebeln der Bürokratievereinfachung – unerlässlich, um wertvolle Zeit für Beziehungen und sozialen Impact freizusetzen, die weiterhin das Herz der genossenschaftlichen Mission bilden. Das Digitale verstärkt somit die partizipative DNA der Genossenschaften, indem es die Entfernungen zwischen Standorten reduziert und den internen Dialog erleichtert.

Der partizipative Kern des Vormittags wurde durch die Arbeitsgruppen repräsentiert, moderiert von Giacomo Buzzao, Michela Giovannini und Valentina Lovato, die Bedürfnisse, Hürden und Chancen in drei Schlüsselbereichen herausarbeiteten: Daily Operations, externe Kommunikation und Arbeitsintegration. Eine detaillierte Zusammenfassung der Brainstorming-Ergebnisse findet sich im Anhang.

Insgesamt wurde deutlich, dass die Digitalisierung im Arbeitsalltag der Genossenschaften als potenzieller Hebel zur Vereinfachung administrativer Prozesse, zur Datenarchivierung und zur Planung anerkannt wird – jedoch auf erhebliche Hindernisse stößt: fehlende Zeit für Weiterbildung, heterogene digitale Kompetenzen, interne Widerstände und Schwierigkeiten, die konkreten Vorteile von Technologien sichtbar zu machen. Gleichzeitig wurde ein starkes Bedürfnis nach kontinuierlicher Weiterbildung und Begleitung geäußert, das nicht auf einmalige Interventionen beschränkt bleiben sollte.

Im Bereich der Kommunikation hoben die Teilnehmenden den Mangel an spezifischen Kompetenzen sowie an Ressourcen für Marketing und Storytelling hervor, obwohl sie das große Potenzial der Digitalisierung erkennen, Werte, sozialen Impact und Dienstleistungen der Genossenschaften sichtbarer zu machen – auch über die Genossenschaftswelt hinaus. Die Schwierigkeit, eine kohärente und geteilte Identität aufzubauen, bleibt einer der zentralen offenen Punkte.

Differenzierter fiel die Reflexion über die Nutzung des Digitalen für die Arbeitsintegration aus. Einerseits zeigen sich Chancen, etwa im Bereich der Gebäudetechnik oder fortgeschrittener sozialgesundheitlicher Dienstleistungen; andererseits wird das Digitale noch überwiegend als unterstützendes Managementinstrument verstanden und weniger als Hebel, um neue Märkte oder technologieintensive Tätigkeiten für Personen in Arbeitsintegration zu eröffnen.

Der abschließende Besuch des BITZ-unibz-Fablabs, geführt von Hannelore Schwabl, bot einen weiteren Einblick in das Potenzial des „Digital Making“ als Raum für Lernen, Experimentieren und Inklusion. Damit wurde die Idee gestärkt, dass Digitalisierung nicht nur Technologie ist, sondern ein Gefüge sozialer und organisatorischer Praktiken.

Insgesamt vermittelte der Tag eine klare Botschaft: Die Digitalisierung der Sozialgenossenschaften ist keine Frage des „Ob“, sondern des „Wie“ und „unter welchen Bedingungen“. Die Rolle des Competence Centre zeichnet sich somit als jene eines Akteurs ab, der in der Lage ist, diese Prozesse zu begleiten und Forschung, Praxis und konkrete Bedürfnisse des Gebiets miteinander zu verbinden.

Lokale Erfahrungen sichtbar machen und vernetzen

Aus den Diskussionen ging eine starke Heterogenität hervor: Einige Genossenschaften haben fortgeschrittene digitale Praktiken entwickelt, andere befinden sich noch in einer frühen Phase. Das Centre kann eine Schlüsselrolle bei der Zirkulation von Wissen spielen, lokale Erfahrungen sichtbar machen und den Austausch unter Gleichgesinnten fördern.

Dieser horizontale Netzwerkansatz trägt auch einem wiederholt angesprochenen Problem Rechnung: dem mangelnden gegenseitigen Wissen zwischen Genossenschaften, die im selben Gebiet tätig sind, aber selten über organisatorische Themen miteinander ins Gespräch kommen.

Unterstützung der Kommunikation und Aufbau einer neuen Erzählung

Im Bereich der Kommunikation kann das Centre die Sozialgenossenschaften dabei unterstützen, die richtige Perspektive einzunehmen, um eine (neu)formulierte Erzählung der Sozialgenossenschaften zu entwickeln, die ihre soziale und wirtschaftliche Legitimität anerkennt. In diesem Bereich besteht der Mehrwert des Centre nicht darin, Marketingfunktionen zu ersetzen, sondern darin, Leitlinien, gemeinsame Formate und Momente kollektiver Reflexion bereitzustellen, die zeigen, wie das Digitale sozialen Impact sichtbar machen kann, ohne die kooperative Identität zu verfälschen.

Diese Arbeit an der Erzählung ist besonders relevant, um einem der strukturellen Hindernisse zu begegnen: der Schwierigkeit, neue Kompetenzen und junge Mitarbeitende anzuziehen.

Schnittstelle zwischen Genossenschaften, Institutionen und der Forschungswelt

Eine weitere strategische Rolle des Centre betrifft die institutionelle Vermittlung. Viele der in den Arbeitsgruppen herausgearbeiteten Schwierigkeiten – von digitaler Bürokratie über Top-down-Förderprogramme bis hin zu den Beziehungen zur öffentlichen Verwaltung – lassen sich nicht auf Ebene der einzelnen Genossenschaft lösen.

Gleichzeitig kann das Centre den Zugang der Genossenschaften zu universitären und angewandten Forschungskompetenzen erleichtern und die Digitalisierung zu einem Feld gemeinsamer Erprobung machen, statt zu einer individuellen Belastung.

 

Vertiefung aus den Arbeitsgruppen


Bedarfe, Hindernisse und Chancen der Digitalisierung in Sozialgenossenschaften

Die Arbeitsgruppen stellten einen besonders dichten Raum des Austauschs dar, in dem sich die Alltagserfahrungen der Genossenschaften mit organisatorischen und strategischen Überlegungen verbanden. Die Diskussion gliederte sich in drei Hauptbereiche: operative Steuerung, externe Kommunikation und Arbeitsintegration. In allen drei Fällen trat das Digitale nicht als Selbstzweck hervor, sondern als potenzieller Hebel, dessen Wirksamkeit stark von den organisatorischen und kulturellen Bedingungen abhängt, unter denen es eingeführt wird.

1. Operative Steuerung und Arbeitsorganisation (Daily Operations)

Auf der Ebene der täglichen Aktivitäten erkannten die Teilnehmenden das erhebliche Potenzial der Digitalisierung zur Vereinfachung administrativer Prozesse, zur Datenverwaltung und zur Entscheidungsunterstützung. Dieses Potenzial bleibt jedoch häufig nur teilweise ausgeschöpft.

Der am häufigsten genannte Bedarf betrifft die Weiterbildung des Personals, insbesondere der mittleren Führungsebene, die digitale Werkzeuge nutzen soll, ohne über angemessene Kompetenzen oder strukturierten Support zu verfügen. Deutlich wurde der Wunsch nach kontinuierlichen, langfristigen Weiterbildungsangeboten, die die Entwicklung interner Kompetenzen begleiten und eine systematische Abhängigkeit von externer Beratung vermeiden.

Neben der Weiterbildung besteht der Bedarf nach externer, reflexiver Unterstützung, die es den Genossenschaften ermöglicht, „von außen auf sich selbst zu blicken“ und zu verstehen, wie Arbeitsprozesse im Licht verfügbarer Technologien neu gedacht werden könnten. In vielen Fällen liegt die Schwierigkeit weniger in der Nutzung eines Tools als in der Fähigkeit, konkrete und kohärente Anwendungsmöglichkeiten für die eigene Tätigkeit zu erkennen.

Die wichtigsten Hindernisse umfassen den verbreiteten Mangel an digitalen Kompetenzen – sowohl im administrativen als auch im operativen Bereich – sowie den sehr begrenzten Zeitrahmen für Weiterbildung, der durch den Druck des Tagesgeschäfts eingeschränkt ist. Hinzu kommen Widerstände gegenüber Veränderungen, die mit dem im Durchschnitt höheren Alter des Personals sowie der Wahrnehmung verbunden sind, dass Technologien Prozesse eher verkomplizieren als vereinfachen. Es zeigte sich, dass die Einführung neuer Tools, die nicht auferlegt werden, sondern zunächst optional bleiben und durch angemessene Übergangszeiten begleitet werden, solche Widerstände deutlich reduzieren kann.

Auf der Seite der Chancen wurden vorhandene öffentliche Gelder auf Provinzebene hervorgehoben. Sie sind zwar relevant, aber häufig auf Technologieanschaffungen fokussiert und weniger auf die Finanzierung von Weiterbildung und organisatorischer Begleitung ausgerichtet. Tatsächlich existieren spezifische Weiterbildungsfonds, die jedoch schwer zugänglich erscheinen: Der Aufwand für die Antragstellung wirkt im Verhältnis zu den bereitgestellten Mitteln unverhältnismäßig hoch, und die damit verbundene Bürokratie führt zu Teufelskreisen aus Zeitmangel, fehlender Projektkapazität, ausbleibenden Mitteln und unzureichender Weiterbildung.

Perspektivisch wird die Digitalisierung als wichtige Hebelwirkung gesehen, um Zeit aus administrativen Tätigkeiten freizusetzen und sie in Beziehungsarbeit, Organisationsentwicklung oder die Innovation von Dienstleistungen zu reinvestieren.

2. Externe Kommunikation und Positionierung

Die Kommunikation erwies sich als einer der Bereiche, in denen die Diskrepanz zwischen Potenzial und tatsächlicher Praxis am deutlichsten ist. Die Teilnehmenden erkannten die strategische Rolle digitaler Kommunikation, um Werte, Wirkung und Qualität der angebotenen Dienstleistungen sichtbar zu machen, betonten jedoch zugleich die verbreitete Schwierigkeit, in diesem Bereich systematisch zu investieren.

Ein erster Bedarf betrifft das Vorhandensein spezialisierter Berufsprofile mit Kompetenzen in Kommunikation, Marketing und Storytelling. Deren Fehlen hängt sowohl mit Ressourcenengpässen als auch mit einer Organisationskultur zusammen, die diese Funktionen gegenüber der täglichen operativen Arbeit nicht priorisiert. Dies führt zu einer Kommunikation, die oft fragmentiert ist, wenig Kontinuität aufweist und auf nicht spezialisierten internen Kompetenzen beruht.

Zu den Haupthemmnissen zählen eine geringe Vertrautheit mit digitalen Kommunikationsinstrumenten, insbesondere sozialen Medien, sowie die Schwierigkeit, eine kohärente und geteilte Identität aufzubauen. Dieses Problem steht im Zusammenhang mit einer breiteren Frage der Positionierung: Die gleichzeitige Wahrnehmung als Unternehmen, als Sozialgenossenschaft oder als beides erzeugt Unklarheiten, die die Entwicklung einer wirksamen Erzählung erschweren.

Die Chancen werden jedoch als bedeutend eingeschätzt. Digitale Werkzeuge ermöglichen es nicht nur, die Sichtbarkeit nach außen zu erhöhen, sondern auch die interne Kommunikation zwischen Rollen und Produktionsbereichen zu stärken. Zudem wird eine strukturiertere Kommunikation als Hebel zur Gewinnung von Ressourcen, zum Aufbau von Vertrauen und zur Erhöhung der Transparenz der genossenschaftlichen Arbeit gesehen – als öffentliche Übernahme von Verantwortung für das eigene Handeln.

3. Arbeitsintegration und Digitalisierung

Das Thema der Arbeitsintegration brachte vorsichtigere Überlegungen hervor. Generell wird Digitalisierung vorwiegend als Managementunterstützung (Planung, Monitoring, Berichterstattung) verstanden und weniger als Hebel zur Erschließung neuer, technologieintensiver Tätigkeitsfelder speziell für Menschen in Integrationsprozessen.

Eines der relevantesten Hindernisse betrifft die Unvorhersehbarkeit der Zielgruppenprofile, die oft durch hohe Fluktuation und heterogene Kompetenzen gekennzeichnet sind. Dies erschwert Investitionen in spezifische Technologien, da diese möglicherweise nicht langfristig anpassbar sind. Hinzu kommt in einigen Sektoren die Zurückhaltung von Kund*innen – insbesondere von privaten Haushalten und Familien – gegenüber digitalen Dienstleistungen, die Fragen des Datenschutzes und der Datensicherheit aufwerfen.

Dennoch wurden einige aufkommende Chancen identifiziert, insbesondere im Bereich der Hausautomation und sozialgesundheitlicher Dienstleistungen, wo digitale Technologien sowohl die Servicequalität verbessern als auch neue Beschäftigungsmöglichkeiten schaffen können. Diese Erfahrungen bleiben jedoch episodisch und würden eine spezifische Begleitung benötigen, um skaliert zu werden.

Querschnittliche Überlegungen

Insgesamt vermittelten die Arbeitsgruppen ein Bild der Digitalisierung als eines sozialen und organisatorischen Prozesses, nicht als rein technologischen. Die Genossenschaften erkennen den Wert des Digitalen, erleben jedoch täglich dessen Grenzen, wenn Zeit, Kompetenzen, Ressourcen und eine gemeinsame Vision fehlen. In diesem Sinne richtet sich die implizite Erwartung an das Kompetenzzentrum darauf, eine strukturierte Begleitfunktion zu übernehmen, die Weiterbildung, Beratung, Peer-Learning und den Aufbau einer neuen Erzählung der Sozialgenossenschaften im digitalen Zeitalter integriert.

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