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Prävention von Ausbeutung landwirtschaftlicher Arbeitskräfte: unibz erarbeitet Richtlinien

Die Mechanismen der Ausbeutung und illegalen Vermittlung landwirtschaftlicher Arbeitskräfte besser verstehen, um dem Phänomen mit Prävention und konkreten Maßnahmen entgegenwirken zu können: das ist das Ziel des europäischen Forschungsprojekts FARM, für das 18 private und öffentliche Einrichtungen - von Universitäten und öffentlichen Verwaltungen bis hin zu Arbeitgeberorganisationen und Netzwerken zur Bekämpfung des Menschenhandels - in den Regionen Veneto und Lombardei sowie den Autonomen Provinzen Südtirol und Trentino zusammengearbeitet haben. An der Fakultät für Bildungswissenschaften, einem der wissenschaftlichen Partner von FARM, wurden ein Strategiepapier für Maßnahmen auf lokaler Ebene sowie Leitlinien für die Regulierung in den genannten Regionen und darüber hinaus erarbeitet.

„Die extreme Ausbeutung von Arbeitskräften in der Landwirtschaft nimmt in Italien, aber auch im restlichen Europa und international zu. Verbunden ist sie vielfach mit Menschenhandel zum Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft. Schätzungen der nationalen Forschungsinstitute gehen davon aus, dass in Italiens Landwirtschaft rund 180.000 Arbeitskräfte Opfer schwerer Ausbeutung sind. Das ist der höchste Wert aller Wirtschaftssektoren”, unterstreichen Prof. Susanne Elsen und die Forscherin Dr. Franca Zadra. Die beiden vertreten die unibz im Forschungsprojekt FARM (Filiera dell’Agricoltura Responsabile), das kürzlich abgeschlossen wurde und von der Europäischen Union und dem Fondo FAMI des Innenministeriums kofinanziert wurde. Die Aufgabe der unibz bestand unter anderem darin, durch partizipative Forschung Richtlinien zu erarbeiten, die eine Konfrontation mit der Problematik erleichtern sollen. Für die Erarbeitung des Dokuments, das sowohl Vereinen und Non-Profit-Organisationen als auch öffentlichen Institutionen eine Orientierungshilfe im Kampf gegen die Ausbeutung in der Landwirtschaft bieten soll, setzten die beiden Sozialwissenschaftlerinnen unterschiedliche Methoden ein: Fragebögen, Tiefeninterviews, partizipative Workshops und Netzwerke mit lokalen und überregionalen Stakeholdern. Das Ergebnis ist ein Vademecum, in dem das Phänomen beschrieben sowie Maßnahmen und Interventionsmöglichkeiten aufgezeigt werden.

Nicht nur ein Problem des Südens: die Situation in Südtirol

Die Ausbeutung von landwirtschaftlichen Arbeitskräften wird oft mit Berichten über unmenschliche Arbeits- und Lebensbedingungen und in den schlimmsten Fällen sogar Todesfällen infolge von Erschöpfung und extremer Hitze aus Süditalien verbunden. Doch solche Formen moderner Sklaverei gibt es leider nicht nur im Süden. Wie aus den Richtlinien hervorgeht, zählen der Veneto und die Lombardei zu den Regionen, in denen das Phänomen am stärksten verbreitet ist. In Südtirol wurden dagegen keine Formen von extremer Ausbeutung festgestellt. Die Ausbeutung hat im Allgemeinen folgende Ursachen: den Niedergang kleiner landwirtschaftlicher Betriebe, den Preisdruck durch die großen Handelsketten, die zunehmende Präsenz von Saisonarbeiter*innen und illegalisierten Menschen mit Migrationsgeschichte, die besonders vulnerabel sind, weil sie arm und sozial isoliert sind, vielfach geringe Sprachkenntnisse haben und unzureichend über ihre Rechte informiert sind.  Dazu kommt die Schwierigkeit, Kontrollen und gewerkschaftlichen Schutz durchzusetzen. „Dennoch ist es wichtig, Maßnahmen zu ergreifen, die ihre Situation verbessern, insbesondere indem die strukturellen Ursachen des Problems bekämpft werden und die verantwortlichen Kräfte vor Ort zusammenarbeiten“, erklären Elsen und Zadra. 

Aufsuchende Soziale Arbeit mit Opfern von Ausbeutung

Als eine der effizientesten Strategien wird in den Richtlinien aufsuchende Soziale Arbeit nahegelegt. Dabei werden vier Phasen unterschieden, die vom aktiven Zugehen auf Menschen in solch vulnerablen Situationen bis zu ihrer Aufnahme in ein geschütztes Programm mit lokalen Sozialdiensten reichen. Wichtig bei diesem Prozess sind Vertrauen und Glaubwürdigkeit, ohne die Betroffene nicht für eine Zusammenarbeit zu gewinnen sind. Auf dieser Basis kann es dagegen gelingen, sie für ihre Rechte und deren Einforderung zu sensibilisieren und ihnen zu ermöglichen, aus der Rolle des Opfers auszusteigen.

Die Ergebnisse des Projekts FARM zeigen Strategien auf, die unabhängig von den Besonderheiten jeder Region auf dem gesamten Staatsgebiet Anwendung finden können. Als Vorbild kann in einigen Bereichen Südtirol dienen. „Die Tatsache, dass hier keine Fälle von schwerer Ausbeutung gemeldet wurden, ist sicherlich auf einige strukturelle Stärken zurückzuführen“, sind Elsen und Zadra überzeugt. „Allen voran die kleine Durchschnittsgröße der Betriebe und ihre Integration in die dörflichen Gemeinschaften, die Tradition der genossenschaftlichen Organisation und der Unterstützung kleiner Betriebe, der Trend zu einer qualitativ hochwertigen Produktion mit Orientierung an den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen. All diese Rahmenbedingungen schaffen im Allgemeinen ein positives Klima für landwirtschaftliche Arbeitskräfte, auch wenn Südtirol nicht frei von Irregularitäten in diesem Bereich ist und weitere Bemühungen für die Gestaltung regulärer Arbeits- und Lebensbedingungen erforderlich sind.“

(su)